Den mit 2500 Euro dotierten regionalen Literaturpreis vergibt die Annalise-Wagner-Stiftung seit 1992 jährlich an einen inhaltlich und sprachästhetisch hervorragenden Text von besonderer Bedeutung für das „Gedächtnis der Region Mecklenburg-Strelitz“ im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Pauline de Bok erzählt in „Blankow oder Das Verlangen nach Heimat“ mit authentischen Lebensgeschichten aus der Region Mecklenburg-Strelitz deutsche Geschichte aus ostdeutschem Blickwinkel und setzt Maßstäbe für das Genre „literarische Non Fiction“. Seine inhaltliche und literarische Qualität verleihen diesem Text nachhaltigen Wert für Erinnerungskultur und kollektives Gedächtnis, weit über die Region hinaus, für deutsche wie für niederländische Leser.
Im verfallenen Vorwerk Blankow sucht die Ich-Erzählerin aus Amsterdam die Einsamkeit. Sie findet Briefe einstiger Bewohner und beginnt, in Gesprächen, Archiven und Dokumenten Lebensgeschichten aus der Zeit zwischen 1827 und der Gegenwart „Schicht für Schicht frei zu legen“ (P. de Bok). „Erinnerungsbruchstücke und Erinnerungslücken, Legenden und Fakten – mit Schwerpunkt auf Nachkriegs- und DDR-Zeit – zeigen, wie das ‚Verlangen nach Heimat’ und der Verlust von Heimat Lebensgeschichten prägt und Geschichte schreibt. Dabei wird auch das Fortgehen der Einheimischen als Tragik dieses Landstrichs über Jahrhunderte hinweg thematisiert“, heißt es in der Jurybegründung. Mit dem „Blick von außen“ gelingt es der niederländischen Autorin, „das Exemplarische“ in regional geprägten Schicksalen zu sehen und „die große Historie … anhand von Einzelleben zu erzählen“ (P. de Bok). Sie unterstreicht diesen Anspruch auf Allgemeingültigkeit durch die Entscheidung, „Blankow“ zwar erkennbar in der Region zu verorten (Bezugspunkte wie Neustrelitz und Neubrandenburg sind benannt), aber Ort und Personen zu anonymisieren. Pauline de Bok „möchte dem Leser nicht den Ausweg offenlassen, dass es sich um einen Einzelfall handele“. Wichtig ist der Autorin, dass „das Gedächtnis der deutschen Zeitgeschichte … nicht einseitig von der westlichen Nachkriegszeit … geprägt wird, dass es den Deutschen, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind und gelebt haben, gerecht wird“ (P. de Bok). „Die einfühlsam, jedoch unsentimental in eine poetische Sprache gebrachte Spurensuche zieht den Leser in ihren Bann, ohne ihm die Distanz zu nehmen für eigene Assoziationen“, hebt die Jury des Annalise-Wagner-Preises hervor. Der sachlich, leise, langsam erzählte Text erfordert und ermöglicht, „dass sich die Leser ihr eigenes Bild von Blankow machen, das aus ihren Erinnerungen hervorgeht und sich in ihre Erfahrung fügt“ (P. de Bok). Aktive Erinnerungsarbeit wird eingefordert, individuelle Auseinandersetzung mit Heimatbegriff und Identitätssuche herausgefordert. Einen besonderen Anteil daran haben die hervorragende literarische Übersetzung durch Waltraud Hüsmert sowie die buchkünstlerisch anspruchsvolle Edition des Weissbooks-Verlags.
Pauline de Bok, geboren 1956, lebt in Amsterdam. Sie studierte Theologie, Philosophie und Germanistik, arbeitet als Journalistin, Übersetzerin und Autorin. „Blankow oder Das Verlangen nach Heimat“ erschien 2006 in den Niederlanden und 2009 im Frankfurter Weissbooks-Verlag in deutscher Übersetzung von Waltraud Hüsmert. Rezensionen, Kurzbiografie und Kurzbibliografie von Pauline de Bok sind online verfügbar:www.paulinedebok.nl